Samstag, 5. Juli 2014

Der Radieschenbaum

Kennt ihr das? Ihr sitzt mit Freunden und Bekannten zusammen und esst Chips und Süßigkeiten, die Schüssel lehrt sich in rasantem aber gleichmäßigen Tempo. Es sind nur noch drei Süßigkeiten in der Schüssel. Jemand Beherztes gibt sich einen Ruck und greift zu. Nur noch zwei Süßigkeiten. Es erbarmt sich jemand und kaut beflissen aber heimlich.
Nun ist sie da: Die Situation vor der sich alle fürchteten, die aber unausweichlich bleibt. Die Letzte Süßigkeit liegt in der Schüssel. Ob es die Höflichkeit gebietet, ob es der Respekt vor dem letzten Stück ist, die Angst vor der Leere, die Hoffnung auf mehr oder die Hochachtung vor dem, was einst existierte? Häufig führt dieses letzte Stück zu falschen Bescheidenheidenheitsdiskussionen. "Bitte!" sagt der eine, "Nimm du!" sagt der andere "Nein du!". Was aber auch vorkommt - und das ist aus meiner Erfahrung oft der Fall: Das letzte Stück bleibt einfach liegen. Als Test für die Selbstbeherrschung.

So ähnlich ging es mir mit den Radieschen dieses Jahr. Ich pflückte sie mit Gärtnerstolz, schnitt sie auf, erntete den nächsten Tag ein neues und der Balkonkasten leerte sich allmählich. Bis auch hier das unausweichliche Erwartete eintrat: Das letzte Radieschen, ein im Vergleich zu den anderen eher mickriges und kümmerliches Exemplar, stand dort. Allein im Kasten. Ich kann euch nicht genau sagen, was es war, das mich dazu bewog. Ich dachte nicht darüber nach. Ihr könnt es euch wahrscheinlich denken. Es blieb einfach stehen.




























Was dann passierte, übertraf alles, was ich erwartet hätte: Das Radieschen wuchs, glücklich über die ihm zuteil kommende Sonne und den Platz, den es beanspruchen durfte. Es wuchs enorm schnell. Es wurde größer als die Paprikapflanzen, größer als die Tomaten und überragte zuletzt sogar den Borretsch. Wenn doch nur die letzte Süßigkeit in der Schüssel so wachsen würde...




Als es ca. 70 Centimeter erreicht hatte, sah es aus wie ein ungelenkes, staksiges, eher ungraziöses Pflanzending. Eigentlich wollte ich es herausreißen, aber dieser Wille zum Leben in Größe weckte meine Anerkennung und ich stützte es mit einem Bambusstab. Als es 1 Meter groß war, bildete es 12 Blütenstämme aus. Schon jetzt war es die größte Pflanze auf dem Balkon und kaum zu übersehen. Ich wurde neugierig darauf, wie es aussehen würde, wenn es blüht. Als es dann die Größe von 1,10 Metern erreichte, blühte es für eine Woche staksig und langgliedrig zauberhaft und verlor all die weißen Blüten, sodass der Balkon und ein Teil des Geländers mit weißen Blütenblättern bedeckt war. Ich fegte sie fluchend weg, konnte es aber immer noch nicht entfernen. Ich muss unbedingt noch wissen, wie die Früchte aussehen und ob man wirklich Samen von diesem Riesenradieschen ernten kann.

Ich weiß noch nicht, wie es enden wird. Eins weiß ich aber genau: Wenn dieses Riesenmammutradieschen endlich soweit ist, dann werde ich "Baum fällt!" rufen und hoffen, dass es niemanden erschlägt!





































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